Wohin mit den Kompetenzen?
Patrick SchenkIn kaum fassbarer Geschwindigkeit kommen in der grafischen Branche neue Produkte, Tools und Technologien auf den Markt. Bildbearbeitungsprogramme mit KI-Unterstützung, Fotoapparate mit nahezu realitätsgetreuer Abbildungskraft, allerlei Cloudlösungen für mehr Effektivität oder Drucksysteme, die höchst eigenständig, schnell und millimetergenau operieren. Auch wenn durch diese Technik etliche Arbeitsprozesse vereinfacht und teilweise gar direkt von den Geräten übernommen werden, so braucht es doch weiterhin tiefgreifende, fachspezifische Skills und viel Know-how, um mit den neuen Gegebenheiten zurechtzukommen.
Reichlich Arbeit also für die Lernenden und die Bildungsverantwortlichen der grafischen Branche. Welche Veränderungen oben genannte Entwicklungen bewirken und welche Herausforderungen daraus erwachsen, ist gut bei der Drucktechnologen-Ausbildung erkennbar.
Veränderung liegt in der Luft
Die Tätigkeit des Drucktechnologen ist gerade durch die eingangs erwähnten Drucksysteme, die inzwischen auch ganz zentrale Drucktechnologen-Aufgaben wie die Farbmessung oder das Einrichten des Druckauftrages vollautomatisch übernehmen, grossen Veränderungen unterworfen – und spätestens da tut sich die Frage nach einer grossen Überarbeitung des Berufsbildes auf.
Das geschieht aktuell auch beim Drucktechnologen, der per 2019 neu unter «Medientechnologe/in EFZ» läuft und anstelle der bisherigen vier Fachrichtungen die drei Spezialisierungen «Print», «Siebdruck» und «Printmediatechnik» bietet. Im Projektpapier zur Überarbeitung heisst es mit Blick auf aktuelle Trends: «... immer kleinere und komplexere Auflagen, zunehmende Digitalisierung aller Prozesse in der Wertschöpfungskette, Automatisierung von A bis Z ...» Insgesamt also Veränderungen, die eine Verschiebung der Berufsgattung erfordern und neue Kompetenzen im informatischen und technischen Bereich voraussetzen. Auch für René Theiler vom VSD ist klar, dass sich die Fähigkeiten, die Druck- bzw. Medientechnologen in der Ausbildung erwerben, in Richtung der dem Druck vor- und nachgelagerten Prozesse verschieben.
Gestalter plus Informatiker?
Eine der grössten Herausforderungen der Gegenwart ist gemäss René Theiler, diese Trends in der Grundbildung unterzubringen, also eine Ausgewogenheit zwischen gestalterischen Kompetenzen und IT-Wissen zu finden. Denn aktuell bekunden Designer, die in Ausübung ihrer Arbeit im engen Austausch mit Web-Entwicklern stehen, grosse Probleme mit den Fachbegriffen der Informatik. Angehende Polygrafen, Drucktechnologen, Gestalter und Co. sollen deshalb künftig nicht nur das musische und künstlerische Handwerk erlernen, sondern auch einen Grundstock an Informatikkenntnissen vermittelt bekommen.
Die Idee findet unter den individuell Befragten grundsätzlich grosse Zustimmung. Wolf Kammerlander als Verantwortlicher Digitale Kompetenzen der Migros Klubschule ist der Meinung, dass IT-Fähigkeiten als Grundkompetenzen absolut wichtig sind und in den nächsten Jahren alle Bereiche der Arbeitswelt erreichen werden.
Dennoch bleiben auch gewisse Vorbehalte: So stellt Luigi Garavelli, Co-Schulleiter der Schule für Gestaltung Aargau beispielsweise die Frage nach der «Verwässerung der Lerninhalte» durch die Hinzunahme weiterer Kompetenzen in den Raum, denn auch wenn es richtig sei, dass die Technik den Takt vorgibt und zunehmend Generalisten erschafft, müsse doch darüber diskutiert werden, ob Lernende bei weniger Inhaltstiefe nicht am Ende ihr Handwerk «verlernen» und im schlimmsten Falle arbeitsmarktunfähig werden.
Eine ähnliche Meinung vertritt auch Roger Spindler: Der Leiter Höhere Berufsbildung und Weiterbildung der Schule für Gestaltung Bern und Biel befürwortet im Grossen und Ganzen, dass IT-Skills vermittelt werden. Er plädiert jedoch auch für Weitblick und dafür, dass man nicht bloss auf aktuelle Trends aufspringen soll, um kurzfristige Bedürfnisse auszubilden. Ausserdem ist für ihn wichtig, dass die grafische Berufsgattung trotz einer allfälligen Einbindung von IT-Kenntnissen nicht ihre DNA verliert. «Denn die gestalterische Kompetenz», so Spindler, «ist das, was uns ausmacht.»
Ideen «out of the box»
Nebst der Implementierung eines soliden Grundstocks an IT-Kenntnissen in die Grundbildung sieht René Theiler einen anderen, radikalen Lösungsansatz in Praktika nach der Matura. In die Praxis umgesetzt wurde diese Idee bereits beim «Mediamatiker Way-Up»-Modell, das derzeit von der Swisscom genutzt wird: Die Lehrzeit wird verkürzt und beträgt zwei Jahre, dafür bewerben sich Mediamatiker und Mediamatikerinnen Way-up immer wieder für interne Projekte, um reichhaltige Praxiserfahrungen zu sammeln.
Luigi Garavelli kann sich auch ein Basislehrjahr vorstellen, indem zunächst gestalterische und informatische Grundlagen vermittelt werden und man erst später seine «wahre Berufung», also eine Spezialisierung, wählt.
Um mehr Flexibilität zu erlangen, votiert Roger Spindler in diesem Zusammenhang auch für mehr Durchlässigkeit und eine höhere Modularität des Bildungssystems.
Ein neues Berufsfeld tut sich auf
Einen anderen Lösungsansatz verspricht der so genannte «Frontend-Entwickler EFZ»: Dabei handelt es sich um einen neuen Grundbildungsvorschlag, der von Jürgen Wössner initiiert wurde. Der Frontent-Endwickler (frontend-entwickler.ch) ist aktuell im Gespräch und soll die klaffende Lücke zwischen Design und Backend schliessen. Neben den Kernkompetenzen des Frontends werden dabei zum einen Gestaltungskompetenzen, zum anderen Backend-Entwicklungs-Skills gefördert.
Kammerlander begrüsst die Idee des Frontend-Entwicklers. Er ist auch der Meinung, dass sich die Art und Weise, wie Webauftritte entwickelt werden, stetig weiterbewegt. Die Themen dieser Idee folgen ideal den Trends im Design sowie User Experience und sollten zwingend weiterverfolgt werden.
Weiterbildung im eigenen Haus
Nebst den institutionalisierten Bildungsangeboten gibt es zunehmend auch firmeninterne Weiterbildungsmöglichkeiten: Der Kluft zwischen Gestaltung und IT hat sich die Tamedia beispielsweise mit der so genannten «Tamedia Code Academy» angenommen. Der erste, Mitte Mai gestartete Inhouse-Lehrgang der Academy dauert sechs Monate und gewährt 25 ausgewählten Mitarbeitern einen Einblick in das «Full-Stack-Development». Am Ende des internen Kurses sollen die Teilnehmer in der Lage sein, eigene Produkt-Prototypen zu designen und zu entwickeln.
Individualisierte Lehrabschlüsse?
Bei allen Fragestellungen rund um IT und Gestaltung soll nicht vergessen werden, dass der Medientechnologe ab 2019 eine weitere gewichtige Neuerung bereithält: Diese will einerseits dem Trend nach Individualisierung Herr werden, andererseits die unterschiedlichen Lehrlingsanforderungen im Betrieb berücksichtigen. So ist die individuelle Prüfungsarbeit (IPA) ab 2019 auf die berufliche Situation des Abschliessenden zugeschnitten. René Theiler ist vom individualisierten Examen überzeugt und meint, dass gerade durch die verschiedenen Kompetenzen in den Betrieben eine einheitliche Prüfung absolut obsolet sei. Diese Veränderung bedingt auch eine Instruktion der Prüfungsexperten, die mit der IPA neue Herausforderungen bewältigen müssen. «Die IPA wird einiges bewegen», ist sich Theiler sicher. ↑
Gesprächspartner
- Luigi Garavelli, Schule für Gestaltung Aargau
- Wolf Kammerlander, Klubschule Migros
- Roger Spindler, Schule für Gestaltung Bern und Biel
- René Theiler, VSD
Aus- und Weiterbildung im Druck- und Publishingbereich
Diese alphabetisch geordnete Übersicht zeigt die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im erweiterten Bereich der grafischen Branche: Grafik/Prepress/Druck/Verpackung/Werbetechnik/Webpublishing/Multimedia. Verwandte Berufe sind teilweise berücksichtigt. Nicht enthalten sind die Berufsfelder Kommunikation/Werbung/Marketing/Medien/Journalismus/Informatik usw. Nicht aufgeführt sind Weiterbildungskurse mit spezialisierten Inhalten (Programmkurse usw.). Beachten Sie zu diesem Thema auch die News Weiterbildung auf Seite 26 und 27.
Grundbildung (Lehre mit EFZ oder EBA)Drucktechnologe/in EFZ Fachrichtungen Bogendruck, Rollendruck, Siebdruck, Reprografie
(ab 2019: Medientechnologe/in EFZ; Fachrichtungen Print, Siebdruck, Printmediatechnik)
Flexodrucker/in EFZ
Geomatiker/in EFZ (Kartografie)
Gestalter/in Werbetechnik EFZ
Grafiker/in EFZ
Interactive Media Designer EFZ
Mediamatiker/in EFZ
Polygraf/in EFZ Schwerpunkte Printmedien, Screenmedien
Printmedienpraktiker/in EBA
Printmedienverarbeiter/in EFZ Fachrichtungen Bindetechnologie, Buchbinderei, Versandtechnologie, Druckausrüstung
Verpackungstechnologe/in EFZ
Weiterbildungungen (staatlich anerkannt*)Berufsprüfungen BP
Betriebsfachmann/frau Druck- und Verpackungstechnologie EFA
Druckkaufmann/frau EFA
Farbdesigner/in EFA
Kommunikationsplaner/in EFA
(ab 2019: Kommunikationsfachmann/frau EFA)
Korrektor/in EFA
Mediamatiker/in EFA
Spezialist/in für Printmedienverarbeitung EFA
Techno-Polygraf/in EFA
Höhere Fachprüfungen HFP
Dipl. Grafik-Designer/in
Dipl. Web Project Manager/in
Farbdesigner/in ED
Geschäftsführer/in ED
Packaging-Manager/in ED
Publikationsmanager/in ED
Werbetechniker/in ED
Höhere Fachschulen HF
Dipl. Farbgestalter/in HF
Dipl. Gestalter/in HF Bildende Kunst
Dipl. Gestalter/in HF KommunikationsdesignVertiefungsrichtungen: Film, Fotografie, Interaction Design/Interaction Media Design, Mechandasing Design, Schrift und Typografie, Visuelle Gestaltung
Dipl. Gestalter/in HF Produktdesign
Vertiefungsrichtungen: Industrial Design, Mode Design, Textil Design, Uhrenobjekte-Design
Dipl. Techniker/in HF für Medienwirtschaft und Medienmanagement
Fachhochschulen FH
Bachelor of Arts (FH) Vertiefungen: Cast/audiovisuelle Medien, Game Design, Industrial Design, Interaction Design, Scientific Visualization, Style and Design, visuelle Kommunikation
Bachelor of Arts (FH) Produkt- und Industriedesigner/in
Bachelor of Science (FH) in MedieningenieurwesenVertiefungsrichtung Medienwesen und IT-Management
Konservator/in-Restaurator/in (FH) Grafik, Schriftgut und Fotografie
Andere WeiterbildungenAdobe Certified Expert (ACE)
Apple Solutions Expert (ASE)
CAS Content Marketing / Corporate Publisher
CAS Digital Communication Excellence; Kooperation HTW Chur mit publishingNETWORK
CAS Digital Publisher – Social Media Producer (HWZ)
CAS in Unternehmensführung, Betriebswirtschaft etc.
CAS Schriftgestaltung/Type Design (ZHdK)
CAS Visuelle Kommunikation (HWZ, MAZ)
CAS Webtrends und Crossmedia Management (FHNW)
DAS E-Commerce Manager (FHNW)
ICT Assistant Web SIZ
Lehrgang Verpackungstechnik (IPI)
Managementdiplom, Personal- und Teamführung, Coaching
MAS Lebensmittelverpackung oder industrielle Dienstleistungslogistik
MAS in Human Computer Interaction Design
MAS in Unternehmensführung, Betriebswirtschaft etc.
MAS für Medienwirtschaft und Medienmanagement
MAS in Mobile Application Design
MAS Digital Marketing and Communication Management (HSLU)
Master of Engineering in Packaging Technology (IPI)
Multimedia-Master (NSH)
Geprüfter Medienproduktioner (Kooperation f:mp und VSD)
Professional Media Designer (Digicomp)
Print Designer (xart college gmbh, Modul des Publisher Professional)
Publisher Basic: Ausbildung für Quereinsteiger in die Medienproduktion. Anbieter: Digicmp, Klubschule Migros, Monumentum GmbH, PubliCollege, xart college gmbH, KV Zürich Business School; Prüfungsvorbereitung: xart college gmbh
Publisher Professional: Erweiterte Ausbildung für Quereinsteiger in die Medienproduktion. Anbieter: PubliCollege (Profil Gestaltung), xart college (Profil Gestaltung), publishingNETWORK (Profil Technik), Digicomp Academy (Profil Multimedia), Klubschule Migros (Profil Multimedia)
Quellen: www.berufsberatung.ch, www.berufskunde.com, www.medienjobs.ch/weiterbildung und weitere
* Staatlich anerkannt heisst, dass Diplome und Zertifikate eidgenössisch anerkannt sind.
Abkürzungen: BA = Bachelor of Arts / BP = Berufsprüfung (Eidgenössischer Fachausweis EFA) / CAS = Certificate of Advanced Studies / DAS = Diploma of Advanced Studies / EBA = Eidgenössisches Berufsattest (2 Jahre) / ED = Eidgenössisches Diplom (siehe HFP) / EFA = Eidgenössischer Fachausweis (siehe BP) / EFZ = Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (3 oder 4 Jahre) / FH = Fachhochschule (Bachelor of Arts, Bachelor of Science) / HF = Höhere Fachschule (Diplom; Techniker/-in HF Polygrafie, Dipl. Techniker/in HF für Medienwirtschaft und Medienmanagement) / HFP = Höhere Fachprüfung (Eidgenössisches Diplom ED)/ MAS = Master of Advanced Studies